Rundschreiben zum Schuljahresbeginn 2004/2005
Leider waren die Ferien mal wieder viel zu kurz, wie wir Lehrer zu sagen pflegen. Schüler sehen das sicherlich auch so, oder? Und für manche werden das die letzen Schulferien gewesen sein.
Manche von Euch haben sich sicherlich einen schönen Urlaub gegönnt. Andere wollten arbeiten, um das Taschengeldkonto aufzubessern. Vielleicht hat der ein oder andere auch wie ich Stunden vor dem Fernseher verbracht, um Olympia zu schauen. Und jeden morgen der Blick auf den Medaillenspiegel: wie viel Goldmedaillen sind es den heute. Habt Ihr auch mal davon geträumt wie ich Siegerpodest zu stehen und eine Goldmedaille in den Händen zu halten? Einmal im Leben ein Held sein, das wär’s doch, oder?
Und dann diese Enttäuschung. Das Versagen der von Almsicks, den Ullrichs & Co.. Keine Goldmedaille. Wie haben die Medien auf denen herum gehackt, vor allem in der ersten Woche. Es zählt halt in unserer Gesellschaft nur der Gewinner. Leider! Zweite Plätze sind uninteressant sind uninteressant geworden.
Aber wollen wir das denn? Zählen denn wirklich nur noch diese Siegertypen. Darf man gar nicht mehr verlieren? Was ist mit den vielen Athleten, die ihre persönliche Bestleistung übertroffen haben? Oder mit dem palästinensischen Schwimmer, der heimlich in einem illegal gebauten und geheimen kleinen Schwimmbad trainieren muss, aus Angst, die Israelies könnten es zerstören, wenn sie es fänden? Das alles nur, um sich den Traum von Olympia zu ermöglichen. Sind das nicht die wahren Gewinner?
In der Schule ist es doch auch so. Wir Lehrer verlangen Höchstleistungen von Euch, oder?! Auch da gibt es Siege und Niederlagen, z.B. in Klassenarbeiten, wenn man eine Note versiebt hat. Ist man dann ein Loser? Es zählen doch nur die Noten. Kein Wort über die Anstrengung, die persönliche Höchstleistung, vorausgesetzt natürlich, man “belastet sich aus bis an die Grenze”, wie Jan Ullrich bei der Tour de France gesagt. “Ohne Fleiss kein Preis”, sagt das Sprichwort.
Was aber ist, wenn sich bemüht, gelernt und sich angestrengt hat? Und dann doch keine 13 Punkte? Wie gehen wir mit unseren großen und kleinen Niederlagen um? Siegen kann jeder, aber in der Niederlage zeigt sich die Größe. Dazu fällt mir, was der große englische Theologe John Henry Kardinal Newman seinen Eltern geschrieben hat, als er überaus enttäuscht war, als er seine College-Prüfung ohne Auszeichnung bestanden hat.
“Es ist vorbei, und ich habe kein Glück gehabt. Welchen Schmerz es mir bereitet, Dir und Mutter dies mitteilen zu müssen, vermag ich nicht zu sagen. Was ich selber leide, ist in der Tat gar nichts im Vergleich zu dem Gedanken, daß ich Euch enttäuscht habe. Mit Freuden würde ich das Hundertfache an Traurigkeit ertragen ... wenn ich dadurch Mutter und Dir den Schmerz ersparen könnte ... Die Prüfer waren so freundlich wie nur möglich zu mir, aber meine Nerven ließen mich ganz im Stich, und so ging es daneben. Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht, um mein Ziel zu erreichen; ich habe keine Mühe gescheut und mein Ruf in meinem College ist so solid wie vorher, wenn auch nicht so glänzend.”
Und dann kommt’s!
“Wenn einer auf dem Schlachtfeld nach mutiger Tat fällt, wird er als Held geehrt - sollte nicht dieselbe Ehre dem zukommen, der auf dem Feld des wissenschaftlichen Kampfes fällt?” (Aus: Günter Biemer, John Henry Newman, Main 1989, 19)
Liebe Schülerinnen und Schüler, mit diesem Zitat wünsche ich Euch für das kommende Schuljahr natürlich viel Erfolg, Motivation und gute Nerven bei all den Herausforderungen, die auf Euch zu kommen werden, aber auch die nötige Gelassenheit den Opfern, die gebracht werden müssen, bei verlorenen Schlachten und Enttäuschungen, die Ihr weg stecken müsst. Aber wie Captain Picard auf de Enterprise habt auch Ihr eine “innere” und äußere Crew, die Euch mit Rat und Tat zu Seite stehen, selbst wenn Ihr das nicht immer spürt oder glaubt.
Also, es kommt nicht immer gewinnen, man muss einen “guten Kampf geben”. Das ist man sich einfach selbst schuldig.
Good luck and God’s blessings to all of you,
Your
C.Grießhaber.
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