TK 10 Zukunft - Vom Traum zur Utopie. Die Bedeutung individueller und kollektiver Träume
Ziel dieser Unterrichtseinheit besteht darin sich sowohl über die eigene
Zunkunft als auch über die Zukunft der Welt Gedanken zu machen. Es geht
vor allem auch um das Thema Träume und den Entwurf
einer idealen Gesellschaft, also um die Frage welche Funktion das
utopischen Denken in diesem Zusammenhang inne halt. Letztendlich sollen
sich die Schüler auch über die Bedeutung des Reich Gottes
Botschaft Gedanken machen und Verbindungen zu ihrem eigenen Leben
herstellen. [siehe hierzu Mohamed Amjahid und Geror von Randow, 2016,
Sehnsucht Ort? Von wegen! ; Thomas Assheuer (2016)
Irgendwo im Nirgendwo.
Anbei ein kleiner Text über die Geschichte des utopischen Denkens.
a) Die Bedeutung des Träumens
Die Frage nach der Wohin ist so alt wie die Menschen selbst. Schon immer hat der Mensch versucht, seine Gegenwart zu überhöhen. Diese Tätigkeit ist eng verbunden mit der Fähigkeit zum Träumen. Stellt sich die Frage, ob Träume und Visionen, Versuche, die Zukunft zu entwerfen, Antworten geben können auf die Fragen und Probleme der Gegenwart. Menschen, die träumen, wurden lange als "Träumer", als Spinner verurteilt, denen jeglicher Sinn für die Realität verloren gegangen zu sein schien. Träume wurden immer als Flucht vor der Realität interpretiert. Immanuel Kant bezeichnete das Träumen als eine Gemütskrankheit. Und Sigmund Freud behauptete, dass glückliche Menschen überhaupt nicht tagträumten.1
Heutzutage wurde diese Sicht weitgehend revidiert. Vor allem die Psychologie sieht Träume heute wesentlich positiver. So sind Tagträumer nach Christiane Gohl ausgeglichenere und phantasievollere Menschen, die jedoch nicht der Realität entfremdet sind.2 Marilyn Ferguson sieht vor allem, dass es Menschen mit Visionen und Träumen waren, die die Gegenwart verändert haben. Als herausragende Persönlichkeiten nennt sie Mutter Theresa, Virginia Woolf, Charles Darwin u.a. Völker, die sogar eine ausgewiesene Traumkultur besitzen wie die Senoi, sind friedfertiger und geistig gesünder als abendländische Volker.3 Sind Träumer und Visionäre die besseren Menschen?
Träume sind für die psychische und biologische Gesundheit des Menschen wichtig, wie die neuere Traumforschung zeigt.4 Man kann sogar sagen, dass Träume-Haben existentiell zum Wesen des Menschen gehört, der schon immer versucht hat, die Gegenwart zu überhöhen, um den Realitätsdruck auszulösen und eine neue Wirklichkeit zu schaffen. Für viele sammelt sich in der Utopie das, was den Menschen über sich hinauswachsen lässt, was ihn zu einem emanzipatorischen freien Handeln befähigt. Meineserachtens hat das Träumen, eine individuelle Utopie haben, viel mit der kreativen und phantasievollen Aktivität des Menschen zu tun, der damit spielerisch individuelle oder kollektive Zukunft entwirft. Nach Eugen Fink ist das "Spiel" eine der fünf fundamental-anthropologischen Bedingungen menschlicher Existenz, neben Arbeit, Herrschaft, Eros und Tod. Es ist jener Horizont menschlicher Spontaneität, wo sich der Mensch zweckfrei ohne äußere Zwänge entfalten kann.
b) Verschiedene Antworten auf die Sinnfrage
In Bezug auf die kollektive Dimension des Träumens der Zukunft, der Sehnsucht nach Veränderung haben Denker und Philosophen schon früh begonnen, Antworten zu finden. So nahm man an, dass der Natur und dem menschlichen Handeln eine objektiv erkennbare Zweckmäßigkeit innewohnt, die in der "Idee der Ideen" begründet ist, nämlich Gott (Aristoteles). Oder man nahm an, in der allgemeinen Weltvernunft sei ein Zielzustand (= Telos) vorgegeben, an dem alle vernünftigen Wesen teilhaben (Stoa). Oder man orientierte sich an der Verborgenheit Gottes, sichtbar geworden im Mensch gewordenen Gott Jesus (Christentum). Goethe, Darwin, Teilhard de Chardin) nahmen an, es gebe einen natürlich-organischen Prozessablauf, ja vielleicht sogar einen universalen Prozess der Evolution, der in sich Ziel gerichtet ist. Karl Marx hingegen erkannte in der gesellschaftlichen Entwicklung einen Ziel gerichteten Prozess hin zu der "freien Entwicklung eines Jeden als Bedingung für die freie Entwicklung aller". Hegel auf der anderen Seite spricht von einem Prozess des "Werdens zum Geist", während Herbert Marcuse die Utopie einer "befreiten Gesellschaft" verkündete.5
c) Zur Geschichte der Utopie
Der Begriff Utopie stammt von dem englischen Humanisten Thomas Morus, der den Begriff als Titel seines Werkes über dem idealen Staat einführte. Er leitet sich zum einen aus dem griechischen Wort
ou-topos ab, was so viel wie Nicht-Ort der Nirgendsland bedeutet. Zum anderen handelt es sich um ein Wortspiel des griechischen Wortes
eu-topia, was so viel wie guter Ort bedeutet im Englischen werden beide Wörter gleich ausgesprochen). Unter Utopie versteht man demnach die Darstellung einer unwirklichen Lebensordnung, meist auch einer gerechteren, als sie die Gegenwart bietet. Dieses Ziel soll nach entsprechender Änderung der bestehenden Verhältnisse in der Zukunft verwirklicht werden. Die Utopie übersteigt die Gegenwart auf die Zukunft hin.
Zusammenfassend kann man Utopie definieren als eine ideale Gesellschaft, fern ab jeglicher Zivilisation und total isoliert, vor allem von der Geschichte. Ihre Unabhängigkeit von der realen Geschichte macht sie unverbindlich.6
Im 19. Jahrhundert wandelte sich der Typus der Utopie grundlegend. Das Inselreich7 wird zunächst in das Erdinnere verlagert (Jules Verne) und dann in die Zukunft projiziert (H.G.Wells). Mit Wells ging die utopische Literatur, die weitgehend der Reiseliteratur entstammte, in die neue Gattung Science Fiction über, die fortan ihre Funktion mit übernahm. Wells ist es zudem zu verdanken, dass die Utopie sich stärker an die technischen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts anpasste. Wells sah die menschlichen Beschränktheiten, verabscheute sie sogar, glaubte aber, die Menschen seien formbar. Es setzte seine Hoffnungen auf eine bessere Welt, wie sie die Wissenschaft bot.8
Seit seiner Zeit haben die Nachfolger Wells Furcht vor einer totalen biologischen Kontrolle lebendiger Organismen geteilt, seine Hoffnung auf eine bessere Welt durch die Technologie
Aufgrund Erfahrungen mit totalitären Systemen und der beiden Kriege kam es zur Entstehung der so genannten Anti-Utopie, repräsentiert vor allem durch Autoren, wie Aldous Huxley, George Orwell, Ray Bradbury und Anthony Burgess. Sie versuchten jedoch nicht allein die gegenwärtigen Zustände zu kritisieren und vor möglichen Folgen des Totalitarismus zu warnen, sonder sie arbeitet ebenfalls an einem Entwurf, wie der Mensch sich angesichts der schrecklichen Erkenntnisse, die uns das 20. Jahrhundert gebracht hat, bestehen kann.
d) Utopie heute
Utopie ist in den letzten Jahren für viele ein Reizwort geworden. Kontroversen zwischen konservativen und Progressiven, zwischen Christen und Marxisten, Theologen und Soziologen bewegten sich um die Möglichkeit eines utopischen Verhaltens. Utopie bedeutet für viele chwärmerei und Wunschtraum. Daher stößt sie auch vielfach auf Ablehnung. Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus ist der Gedanke der Utopie erneut einer scharfen Kritik unterworfen worden. Joachim Fest sieht folglich die Utopie am Ende, wie sein Buch "Der zerstörte Traum", vom Ende des utopischen Zeitalters" deutlich zu machen versucht. Für ihn bietet die Utopie keine politische Lösungskapazität mehr. Darüber hinaus führte sie nur zu Knechtschaft und Unwahrheit.10
Dem ist entgegen zuhalten, dass man in der heutigen Philosophie und Theologie die Utopie positiv als etwas real Mögliches und Entworfenes versteht, welches das bestehende überholt; negativ das als Folge eines extremen Missbrauchs menschlicher Möglichkeiten (z.B. Technik) befürchtete. Da menschliche Selbstwerdung ein Prozess ist, gibt es somit kein Menschsein ohne Utopie: Von daher kann man den Menschen als utopischen Wesen bezeichnen, der die Provokation der Utopie braucht. Sie kann die Gegenwart der Zukunft zuführen. Durch ein völlig utopieloses Menschsein käme es zu einer Verkümmerung der Gegenwart; der Mensch kann nicht mehr handeln, da er keine Fernziele mehr hätte.
Für den Dogmatiker Helmut Riedlinger waren neben den großen Vertretern der Utopie Morus, Campanella, Bacon vor allem Jesaja und Jesus Utopisten, wenn sie von eine zukünftigen Friedensreich (vgl. Jes 2,11) oder dem Reich Gottes (vgl. Lk 6,21f) sprachen. Die theologisch umstrittene Frage besteht aber darin, ob sich der Mensch und die Menschheit ihre Vollendung utopisch vorstellen und Zug um Zug selbst herbei führen können, oder ob die Vollendung außerhalb menschlicher Macht steht und allein Gott vorbehalten bleibt.11 [© Griesshaber, 2010]
Anmerkungen:
1 Gohl, C., 1991, Tagträume: Liebe, Lust und Abenteuer, in: Psychologie Heute 4, 1991, 30.
2 ebd., 34.
3 Ferguson, M, 1981, Geist und Evolution, 168. Diese Vorstellung wurde mittlerweile als
Mythos entlarvt, widerspricht allerdings nicht unbedingt der Bedeutung der Träume.
4 Vgl. Ernst, H., 1991, Das Geheimnis der Träume, in: Psychologie Heute 3, 1991, 21-29.
Eine gute Darstellung der neueren Forschung findet sich in: Mechsner, F., 1994, Geschichten aus
der Nacht, in: Geo 2, 1994, 12-30.
5 Vgl. Marsch, W.-D., MS.
6 Vgl. Suerbaum, 1981, Science Fiction, 41.
7 Vgl. hierzu Defoes "Robinson Crusoe" sowie den Gegenentwurf von William Golding "Lord of the Flies".
8 Als Beispiel sei hier nur "Time Machine" erwähnt.
9 Vgl. Aldiss, 1980,, Der Millionen-Jahre Traum, 263. (Neuauflage 1987).
10 Vgl. Münkler, Ist die Utopie am Ende?, in: Die Zeit Nr. 18, v. 26.4.91.
11 Vgl. Vorgrimler, Christliche Hoffnung, in. FKR 19, 13.